Schiffe


















Aufzeichnungen anno 1846 im Tagebuch von Heinrich Justus Francke (geb. 27.10.1826, gest.1878) über eine Schiffsreise von Bremen nach New Orleans.


Der Abschied
"Der Abschied" (Antonia Volkmar, 1860)



Endlich muß ich mit dem Tagebuche, welches ich Eurem Wunsche gemäß während meiner Reise von Bremen nach New Orleans zu führen mir vorgenommen hatte, wohl mal den Anfang machen. Jetzt, nachdem die Seekrankheit überstanden, nachdem der Kanal passiert und also die größten Gefahren meiner Reise hinter mir sind, erfülle ich denn auch mit Freude Euren Wunsch, Euch meine Erlebnisse, oder vielmehr die Art, wie ich sie erlebe, nach besten Kräften zu schildern. Um nach der Reihe zu erzählen muß ich natürlich mein Gedächtnis um eine Woche zurückschicken und bei meiner Abreise anfangen.

Nachdem ich am 1. Dezember 8 Uhr morgens den letzten Bremer Freund, Theo Kock, verabschiedet hatte, begab ich mich mit dem Kapitän, der von seiner Frau, die am selben Morgen nach Vegesack zurückkehrte, begleitet war, nach dem Eingang des Hafens, wo die Schaluppe des Kolumbus mit 4 Matrosen bemannt, unserer harrte, um uns an Bord unseres Schiffes, das auf der Reede vor Anker lag, zu bringen. Es war ein empfindlich kalter Morgen, und das Schiff, welches tagszuvor abgespült war, war mit einer weißen Eiskruste überzogen. Die Aufmerksamkeit des 2. Steuermannes hatte jedoch für einigermaßen leidlichen Platz gesorgt, indem die für uns bestimmten Plätze mit Flaggen belegt waren. Mit leichtem Herzen - der Abschied von Münden war ja schon lange überstanden und verschmerzt, der von Bremen konnte mich nicht mehr traurig machen - und noch zweifelnd, daß schon heute etwas aus der Abfahrt werden würde und wir vielleicht, nachdem die Flut vorbei und der Wind bis dahin nicht günstiger, noch am selben Tage nach Bremerhaven zurückkehren mußten, bestiegen wir das Boot. Der Kapitän in der Mitte am Steuer, der eine von uns rechts, der andere links. „Sett aff" kommandierte der Kapitän, worauf sich die Ruder in Bewegung setzten. Alsbald schoß das Boot leicht über die unruhigen Wogen gleitend, nach der Richtung, wo unser Dreimaster vor Anker lag, und legte, denselben auch bald erreichend, an seiner Seite, wo alsbald eine Treppe hinuntergelassen wurde, an. Mit Hilfe derselben gelangten wir an Bord, unser Boot wurde alsdann oberhalb des Steuerruders des Kolumbus aufgehievt. Alles war zur Abreise bereit, und der Lotse, der uns in See bringen sollte, bereits an Bord. Der Mann gefiel mir, es war ein hübscher, vielleicht 30jähriger Kerl, mit starkem schwarzen Bart, hoher Gestalt, die in seine weite wasserdichte so kleidsame Schifferstracht eingehüllt.

Sein Hut, der sogenannte Südwester, steif in die Stirn gedrückt, verriet, daß er schon manche, wenn auch noch nicht so viele Stürme wie sein Herr erlebt hat. Ich stimmte den Mann durch Anbieten einer Zigarre und eines Glases Portwein von dem mitgenommenen freundlich gegen mich. Er erzählte mir von den Beschwerden seines Standes, daß er erst in voriger Nacht aus See zurückgekehrt, und heute morgen nun schon wieder fort etc. etc. Der Steward unterbrach unsere Unterredung mit der Frage, ob es gefällig zum Frühstück sei? Wir stiegen daraufhin in die Kajüte hinab, die Fenster derselben waren mit fingerdickem Eis belegt, es war mörderlich kalt, vielleicht der Grund, daß wir dem Frühstücke so gewaltige Ehre antaten. Das zu uns Genommene mußten wir freilich bald genug unter Krämpfen und Würgen wieder hergeben. Nachdem der Magen vollgepackt, unser Körper durch einige Gläser Wein und Zigarren erwärmt, gings wieder auf Deck. Das Zählen der Passagiere wurde vorgenommen. Alle Mann mußten aufs Deck, die Anzahl 182 stimmte. Der Wind war mittlerweile günstiger geworden, die Anker wurden unter Gesang der Matrosen und mit Hilfe von ca. 100 dienstfertigen Händen der auswandernden Bauern gelichtet, die Segel beigesetzt, die Flagge aufgehißt und alsbald setzte sich unser Schiff und auch die anderen großen Schiffe, die um uns herum. lagen, anfangs langsam, dann schneller und schneller in Bewegung. Die kleine Flotte bewegte sich mit ziemlich gleicher Schnelligkeit einige Stunden vorwärts. Die „Amor" mit Kapitän Horstmann voran, dann folgten wir in der „Kolumbus" und später in etwas größerer Entfernung die „Leontine" und „Favorite".

Es wurde übrigens Zeit, an die Briefe zu denken, die ich noch zu schreiben hatte. Die Bewegung des Schiffes war auch schon unangenehm geworden, die Luft der Kajüte erzeugte schon einen Anflug von Übelkeit in mir und ich machte mich daher an die Briefe so rasch wie eben möglich und eilte damit fertig, wieder aufs Deck. Die frische Seeluft, die mich umwehte, machte mich wieder etwas wohler. Ich sah, wie das uns voran segelnde Schiff, die „Amor", plötzlich ihren Kurs änderte, endete und eine Strecke wieder zurücksegelte. Aha, sagte der Kapitän die Amor traut dem Winde nicht. Sie will erst sehen, ob wir es für ratsam halten, in See zu stechen. Nach einer kurzen Beratung des Kapitäns mit dem Lotsen wurde beschlossen, in See zu gehen. Wir behielten also unseren Kurs bei, und erreichten auch bald von den übrigen Schiffen gefolgt, die nicht gegen uns zurückstehen wollten, die offene See. Die Hilfe des Lotsen nun nicht mehr bedürfend, wurde dem Lotsenkutter, der neben uns segelte, ein Zeichen gegeben und zugleich die Segel unseres Schiffes so gestellt, daß der Wind einen Teil derselben von vorn und in die anderen von hinten blies, und somit ein Stillstand des Schiffes bewirkt wurde. Der Lotsenkutter setzte hierauf ein Boot aus, das von zwei Matrosen gerudert in der hohen See furchtbar umhergeworfen, in jedem Augenblick umzuschlagen drohte. Es erreichte jedoch glücklich unser Schiff, legte an der Seite an, und nahm unseren Lotsen, der sich an einem Tau herunterließ, auf. Und weiter gings mit frischem Wind.

Die Seekrankheit ließ nun nicht lange mehr auf sich warten. Sämtliche Passagiere, ein alter Mann ausgenommen, wurden alsbald von dieser recht bösen Krankheit befallen. Ich , so sehr ich mich auch anfangs sträubte, mußte die tagsüber zu mir genommenen Speisen gehörig verdaut, den Fischen zum Abendessen hergeben, aber die Krankheit, mit diesem Opfer noch nicht befriedigt, verlangte ungestüm mehr. Ich fing also an von der Galle zum besten zu geben, aber auch ihr Vorrat war zu bald erschöpft. Die unwiderstehliche Gewalt zum Brechen verlangte gebieterisch: Mehr, immer mehr! Mein Protestieren, meine Beteuerungen, ich hätte nichts mehr, wurden nicht beachtet. Höchstens, daß der Magen eine Ruhe von ca. 5 Minuten hatte. Dann hieß es wieder: Heraus mit, dem in dieser kurzen Frist gesammelten, und wenn es auch noch so wenig war. Es war wahrhaftig kein Spaß, denn Zahnweh ist ein Kinderspiel dagegen. Zwei Tage und Nächte brachte ich in diesem Zustande zu, nachdem wurde es etwas besser und ich konnte wenigstens das Wenige zu mir genommene bei mir behalten und fühlte mich in liegender SteIlung so einigermaßen wohl. Das Wetter blieb fortwährend stürmisch, der Wind kontrair, an Schlafen war des Nachts nicht zu denken, nicht genug, daß wir bei starken Bewegung des Schiffes fortwährend von einer Seite der Koje nach der anderen gerollt wurden. In der Kajüte machten auch die Sessel, die einzigen nicht festgemachten Gegenstände, bei jedem stärken Ruck von einer Wand an die andere geworfen, das anhaltende Zusammenschlagen der Türen, das Geknarre des Getäfels der Wände in der Kajüte, und Gott weiß, was sonst noch alles einen Höllenlärm, als wären hundert Leute mit Brecheisen, Seilen, Äxten und sonstigen Instrumenten aufs Eifrigste bemüht, daß Schiff kurz und klein zu schlagen. Oben auf Deck ging es ebenso lärmend her, der Wind heulte, die See brauste und zischte, der Kapitän schrie durch Sprachrohr, die Matrosen trampelten über unseren Köpfen und sangen, indem sie die Befehle des Kapitäns ausführten , allerhand schöne Lieder, meistens Variationen über: „ Ahoi, ahoi, ahoe... .."

Mein Reisegefährte Oken und ich nahmen uns in jenen Mächten fest vor, nie wieder, wenn wir überhaupt diesmal mit heiler Haut davonkämen, im Winter die Nordsee zu befahren.- Ich habe übrigens in meinem Leben keine delikateren Fische gegessen als aus der Nordsee. Ein uns begegnendes belgisches Fischerboot wurde angerufen, und dasselbe brachte uns einen großen Korb voll lebendiger Schellfische, Zungen und Butte und erhielt dafür ca. 3 Schwarzbrote, einige Stücke gesalzenes Fleisch und ein paar Flaschen Wein. Donner, die Fische schmeckten! Besonders der Kapitän, ein leidenschaftlicher Fischesser konnte glatterdings nicht satt werden. Der Wind draußen heulte stärker, und der erste Steuermann erlaubte sich zu bemerken: „He blast aber fein !" „ Lat em blasen" brummte der Kapitän, indem er dem letzten Schellfisch die grünen Äugen ausbohrte und diese mit Kennermiene verschlang.- Nachdem wir ca. 6 Tage in der Nordsee umhergekreuzt, wurde der Wind einen Strich günstiger. Es war eine Möglichkeit, mit diesem Winde in den Kanal zu kommen, der Kapitän riskierte die Sache und es ging gut. Wir passierten nachts zwischen 12 und 1 Uhr Dover. Der Kapitän, ein lieber, braver Mann, in der Freude seines Herzens über die glückliche Einfahrt und meinend, wir dürften nicht versäumen, Dover und Calais zu sehen, trommelte uns aus der Koje. Wir waren gerade im besten Schlafe, aber heraus mußten wir. Angezogen war ich. Mein Kostüm während der ersten 12 Tage war mit Ausnahme das bei Nacht ein paar Stiefel und ein Paar Gummischuhe fehlten, bei Tag und Nacht völlig gleich. Ich ging des Abends mit Haut und Haaren in die Koje, d.h. ich zog nichts von den 2 Hemden, 1 Unterjacke, 1 Weste, 2 Schlafröcke, 3 Hosen und 2 Paar Strümpfe aus. Ich ließ mich also mit den Händen festhaltend, aus der Koje herunter. Plötzlich schrie ich: „Au verdammt!" „Was ist los?" rief der Kapitän. „Nasse Füße" erwiderte ich. Ich war nämlich mit beiden Füßen in den ziemlich vollen Nachttopf geraten. Never mind! Schuhe angezogen und auf Deck. Rechts hatten wir Dover, links Calais, beide Orte ziemlich erleuchtet. Außerdem waren noch 2 Leuchtschiffe zu sehen. Nachdem er Kapitän alles erklärt und wir alles betoppelt hatten, gings wieder zur Koje.

Am folgenden Morgen hatte der Wind sich noch sehr gebessert, er wehte kräftig aus NNO, und diese günstige Gelegenheit wußten wir zu benutzen. Das Schiff wurde von oben bis unten in Segel eingehüllt. Kein Schiff, das uns begegnete, fuhr mit so vielen Segeln bei dem starken Winde. Was aber auch dem Kolumbus Beine machte l0 bis 12 deutsche Meilen rannte er in 4 Stunden, um aus dem verdammten Loche, dem Kanal, herauszukommen. Nach 24stündigem angestrengten Laufs - selten bedürfen Schiffe so wenig Zeit - hatten wir den Kanal hinter uns und befanden uns im offenen Ozean. Wir durften jetzt frei aufatmen, die größten Gefahren waren glücklich überstanden, schon jetzt umwehte uns eine milde Frühlingsluft und der Kapitän prophe-zeite uns jeden Tag wärmeres und schöneres Wetter. Unsere Reise ist jetzt eine sehr angenehme und einen besseren Kapitän wie den unsrigen kann man sich gar nicht wünschen, er bietet alles mögliche auf, um uns das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Unser Schiff segelt an allen anderen vorbei. Bei jedem Schiff, das wir passieren, wird die Bremer Flagge und die Nummer 180 aufgehißt. Hoffentlich wird eins der uns begegnenden Schiffe so gefällig sein - leider wird eine solche Gefälligkeit bei den meisten fremden Schiffen vermißt - bei Ankunft im Hafen zu rapportieren, es habe das Bremer Schiff Flagge Nr. 180 gesehen und werdet Ihr dann aus den Zeitungen erfahren, daß wir und wo wir gesehen sind. Unsere Kost ist eine ausgezeichnet gute, morgens 6 ½ Uhr werden wir vom Steward geweckt, und wenn wir angezogen in die sogenannte Hütte seiner Kajüte auf Deck kommen, finden wir den Kaffee serviert. Wir begnügen uns dann aber nicht mit einem einfachen Zugebiß, sondern verzehren schon unsere Eier, Zungenwurst, gebratene Fische etc. Vom Beefsteak, das uns der Kapitän häufig anbot - wir haben nämlich bis jetzt noch frisches Ochsenfleisch - mögen wir nichts hören. Sonderbar genug ist für meine Nase seit und während der Seekrankheit nichts ekelhafter und widriger als der Geruch einer Zigarre und eines Beefsteaks. Der Geschmack an beiden wird sich bei völliger Genesung aber schon wieder einstellen. Während der ganzen Reise ,werden wir in der Kajüte kein gesalzenes Fleisch zu essen bekommen. Ist das mitgenommene Frischfleisch verzehrt, so kommen die 3 Dutzend Hühner und Hähne, zwanzig Stück Enten und 9 Gänse, die alle nur für uns bestimmt sind, an die Reihe. Zum Frühstück um 10 Uhr gibt es gewöhnlich Leberwurst, Anchowis (eine Art Sardellen) etc. und auch wohl mal - für gewisse Zwecke - einen Teller voll gekochter Catharinenpflaumen und dazu ein Glas Portwein und Madeira.

Für den Abend ist ein Hauptgericht: Labskaus bestehend aus feingehacktem, vermischt mit einer Art Kartoffelbrei, ein sehr schmackhaftes Essen, wovon ich Euch später das Rezept aufgeben werde. Dann Tee, Brot und Butter, Edamer Käse, Wurst, Pfannkuchen etc. Und der Kapitän spricht noch von vielen schönen Gerichten, die noch zu erwarten seien. Wir werden also eher verwöhnt, als daß wir nötig hätten, uns an die Schiffskost zu gewöhnen. Alles ist im Überfluß und von vorzüglicher Qualität. Über Langeweile kann ich auch durchaus nicht klagen, meine Hauptbeschäftigung ist englische Lektüre. Nach Tisch halte ich regelmässig in Mittagsschläfchen, trinke nachdem meinen Kaffee und sehe dann oben von der Hütte dem Tanze und Spiele der Bauern und Matrosen zu. Hierauf esse ich mit wahrem Genuß zu Abend und mache dann, damit fertig, eine Partie Whist mit dem Kapitän und Oken bis 9 1/2 Uhr. Nach Beendigung des Spieles pflege ich wohl noch bis 10 Uhr aufs Deck zu gehen, lehne mich über Bord und sehe dem Meerleuchten zu oder betrachte den gestirnten Himmel und lasse mir vom Kapitän die verschiedenen Sterne erklären. Dann gehts zur Koje, ich lasse mich in den Schlaf wiegen und schlafe ruhig von schönen Dingen träumend bis der Steward mich am anderen Morgen mit den Worten weckt: „Herr Francke et is half seven". -



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